Monte ist ein Wort für Berg. Wie Mountain im Englischen, Mont im Französischen, so ist Monte das Wort für Berg im Spanischen.
Ich berichte heute von einem speziellen Berg. Er heißt Monte Zerrat.
Monte Zerrat war ein kleiner Berg in Asturien. Asturien liegt im Norden von Spanien. Am Ozean. Der heißt Atlantik. Monte Zerrat war eigentlich gar kein richtiger Berg, eher ein kleiner Hügel. Dass er so klein war, gefiel Monte Zerrat gar nicht gut. Immer wieder blickte er in Richtung Süden, wo er die großen, sehr großen Berge des Kantabrischen Gebirges sah. Die Berge mit den schönen und edlen weißen Schneehauben. Monte Zerrat hätte auch gerne eine solche weiße Mütze auf dem Kopf gehabt. Sein Kopf aber war immer grün. Immer.
Wenn er nur größer wäre. Große Berge bekommen schneller eine Schneemütze, weil es oben kälter ist. Die ganz großen sind sogar im Sommer weiß. Ach wie herrlich wäre das, dachte sich Monte Zerrat.
Wenn er nur im Süden bei den anderen stehen könnte und ein bisschen größer wäre. Oder wenn er ganz weit im Norden zu Hause wäre. Skandinavien oder noch weiter. Dort bekommen auch ganz kleine Berge im Winter eine Mütze auf. Aber Berge versetzt man nicht so einfach. Berge bleiben dort, wo sie sind. Und sie wachsen auch nur ganz, ganz langsam. Wenn überhaupt, dann ein paar Zentimeter im Jahr. Monte Zerrat müsste aber hundert mal hundert Zentimeter im Jahr wachsen und das zwanzig Jahre lang, um so groß zu werden, wie die Berge im Süden, die er so bewunderte. Es half alles nichts. Er würde nicht mehr wachsen. Und das machte ihn traurig. Er war der traurigste Hügel der Welt.
Eines Tages kam ein kleines Mädchen vorbei. Sie hieß Montserrat. Montserrat gefiel der kleine Hügel, weil er direkt neben ihrem Ferienhaus lag und man ganz leicht bis auf den höchsten Punkt steigen konnte. Dort konnte man sich unter einem Baum ins Gras setzen und auf den Atlantik hinausschauen. Das machte Montserrat sehr gerne. Eines Tages fiel ihr auf, das der Hügel irgendwie traurig aussah.
„Hola Berg! Was ist mit dir?“, fragte sie.
Monte Zerrat wusste nicht so recht, was er antworten soll: „Nichts.“
„Das glaube ich nicht. Du siehst so traurig aus. Wie heißt du denn eigentlich?“
Das hatte den kleinen Hügel noch niemand gefragt. Jetzt war er ein bisschen stolz, dass sich jemand für seinen Namen interessierte. Die Namen der großen standen in jedem Atlas und auf jeder Karte. Sogar Messingtafeln und Blechschilder wurden extra für sie gefertigt. Bis jetzt hatte sich aber noch niemand für seinen Namen interessiert.
„Ich heiße Monte Zerrat“, sagte er stolz, aber ein bisschen schüchtern.
„Das ist lustig.“, sagte das Mädchen.
„Was ist daran lustig?“, fragte der Hügel, „Ich finde das gar nicht komisch!“
„Nein, lustig ist, dass ich fast genauso heiße. Ich bin Montserrat.“
„Hihi, das ist wirklich lustig. Ich wusste gar nicht, dass Menschen wie Berge heißen.“ Der Hügel war für einen kurzen Moment von seiner Traurigkeit abgelenkt.
„Guck mal, ist doch gar nicht so schwierig, ein bisschen fröhlich zu sein.“
„Oh doch“, sagte der Hügel, „du weißt ja gar nichts.“
„Dann erzähl es mir.“, sagte das kleine Mädchen.
„Ach du verstehst das nicht.“
„Doch, doch. Ich hör dir einfach zu. Ich werd‘ das schon verstehen.“
„Na gut“, sagte der Hügel, „Ich wäre gerne ein Berg.“
„Aber du bist doch ein Berg.“, meinte das Mädchen.
„Nein, ich meine ein richtiger großer Berg. Sieh mal nach Süden.“
Montserrat schaute in Richtung Süden. „Und?“
„Na, was siehst du? Lauter große Berge. Und alle haben eine Schneemütze auf. Ich möchte auch eine Schneemütze haben. Aber ich bekomme keine. Nichtmal im Winter.“, sagte der Hügel traurig.
„Ja, aber du hast es doch viel besser als die da.“
„Wieso das?“, wollte Monte Zerrat wissen.
„Na, du wohnst direkt am Meer.“
„Na toll, aber ich habe nichts auf dem Kopf.“
„Oh, doch, da irrst du dich“, sagte das Mädchen, „Du hast etwas auf dem Kopf. Und das ist etwas, was die Riesen da hinten nie haben werden. Das macht dich besonders. Das macht dich anders als die.“
„Ach.“, der Hügel war erstaunt, „Und was ist das?“
„Ein Baum!“, rief das kleine Mädchen aus, „Die Berge da hinten werden nie einen Baum auf dem Kopf tragen. Dafür sind sie zu hoch. Weißt du, ab einer bestimmten Höhe wachsen keine Bäume mehr. Du aber hast einen wunderschönen ganz oben auf deinem Kopf. Und wenn es im Sommer warm ist, spendet er Schatten. Und wenn es im Herbst und Winter regnet, kann man sich dort unterstellen. Das ist etwas ganz besonderes!“
So hatte Monte Zerrat das noch nie gesehen. Und er hatte auch nicht gewusst, dass auf den großen Bergen ganz oben gar keine Bäume wachsen können. Jetzt genoss er es, ein kleiner Hügel zu sein, am Atlantik zu liegen und mit seinem Baum auf dem Kopf kleinen Mädchen wie Montserrat nützlich sein zu können.
Von Monte Zerrat
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